Im Spannungsfeld der vorgetäuschten Vergangenheitsbewältigung
Német nyelvű kritika Irina Wolf tollából, a www.theatrescu.com oldalon.
Satu Mare, Szatmárnémeti, Sathmar. Eine dreisprachige Ortstafel (Rumänisch, Ungarisch und Deutsch) ist bei der Einfahrt der im Nordwesten Rumäniens gelegenen Großstadt (Einwohnerzahl: 100.000) angebracht. Rund acht Kilometer vom Grenzübergang nach Ungarn entfernt und auch dicht an der Grenze zur Ukraine angesiedelt, setzt Satu Mare ein Zeichen für die Multikulturalität der Region. Schon immer haben hier verschiedene Nationalitäten gemeinsam gelebt und mehrere Religionen koexistiert. Davon zeugen die vielen Kirchen: die römisch-katholische Bischofskathedrale, die rumänisch-orthodoxe und die griechisch-katholische Kirche, die ungarisch-reformierte Kettenkirche, die Synagoge aus der Zeit um 1890 im maurischen Stil.
Im Zentrum von Satu Mare liegt ein weiteres kulturelles Wahrzeichen: das im neoklassizistischen Stil erbaute Gebäude des Nordtheaters (Teatrul de Nord), in dem zwei künstlerische Abteilungen tätig sind. Feierte die rumänische Sektion 2018 das fünfzigste Jubiläum ihres Bestehens, konnte im selben Jahr die ungarische Theatergruppe „Harag György“ auf 65 Jahre seit ihrer Gründung zurückblicken.
Aufgrund der Sprache und der unmittelbaren Nähe zur ungarischen Grenze erfreut sich die Gruppe einer engen Zusammenarbeit mit im Nachbarland aktiven Künstlern. Zu den Gastregisseuren, die regelmäßig an den Produktionen des Nordtheaters mitwirken, zählt auch Lendvai Zoltán. Im März 2019 widmete er sich einem der neuesten Stücke von Csaba Székely. Der 1981 in Târgu Mureş geborene Dramatiker gilt als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Autoren Rumäniens. In seinen Texten befasst er sich mit Themen wie Nationalismus, Korruption, Alkoholismus und hohen Selbstmordraten.
Ich bereue nichts − so der Titel von Székelys 2017 verfasstem Stück, in dem er die schleppende Vergangenheitsaufarbeitung erkundet. Hauptpersonen sind zwei Männer. Dominik und Alex, ehemalige Mitarbeiter des berüchtigten Geheimdienstes Securitate, treffen sich siebzehn Jahre nach dem Sturz des Ceauşescu-Regimes wieder. Unmittelbar nach Dezember 1989 sind die beiden zwar völlig verschiedene Wege gegangen, jedoch bereut keiner von ihnen die früher angewandten Foltermethoden. Dominik, Alex' ehemaliger Vorgesetzter, zog die Pensionierung vor und den Wunsch nach Anonymität. Trotz eines hohen Rentenbetrages lebt er alleine in einer schlicht ausgestatteten Wohnung. Keiner der Nachbarn kennt seine frühere Beschäftigung. Im Gegensatz dazu arbeitet Alex nun im neuen Inlandsgeheimdienst SRI − eine Möglichkeit, durch die sich viele der einstigen Informanten nach der Wende in Rumänien unbeschadet ins neue System retten konnten.
Alex besucht seinen ehemaligen Chef, um ihn zu überzeugen, für eine neue Mission wieder aktiv zu werden. In knappen wirksamen Dialogen schickt der Autor seine Protagonisten durch die kommunistische Vergangenheit. Es ist eine humorvoll-groteske Auseinandersetzung mit der politisch-ideologischen Kontrolle der Ceauşescu-Diktatur, der beide treu ergeben waren. Verwanzen von Wohnungen und Folterung der Regimegegner standen auf der Tagesordnung. Ärzten und Frauen, die illegale Abtreibungen durchführten, drohte das Gefängnis.
Doch dann stellt sich heraus, dass eine dieser schwangeren Frauen, die von den beiden Männern wild verprügelt wurde, Dominiks Nachbarin von oben ist. Sie ist die Mutter der jungen Liza, einem Teenager, der plötzlich in das Leben des ehemaligen Securitate-Chefs eindringt. Trotz anfänglichem Widerstand schafft es das Mädchen, dem Leben des Ex-Sicherheitsdienstmitarbeiters einen neuen Sinn zu geben. Dominik beginnt Liza als sein eigenes Kind zu betrachten, umso mehr, da seine eigene Tochter aufgrund seiner grausamen Vergangenheit jede Verbindung zu ihm abgebrochen hat. Überdies erweist sich, dass Liza zum Tode verurteilt ist. Denn die Schläge, die ihre Mutter während der Schwangerschaft erhalten hat, verursachten eine Fehlbildung. Lizas einzige Rettung wäre eine Herztransplantation, die 45.000 Euro kosten würde. Diesen Betrag kann Dominik nur dann erhalten, wenn er die von Alex vorgeschlagene Mission annimmt.
Geschickt wechselt der Autor zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die im heutigen Rumänien nur leicht verändert ausfällt: Während Lizas alkoholisierter Vater seiner Tochter eine „tägliche Portion Schläge“ verpasst, bringt Alex mehrere Wanzen in Dominiks Wohnung an. Regisseur Lendvai Zoltán folgt dem Text genau und entscheidet sich für eine realistische Umsetzung. Bühnenbild (Bátonyi György) und Kostüme (Szabó Anna) sind einfallsreich großer Liebe zum Detail und daher äußerst ansehnlich gestaltet. Mit viel Aufwand, ohne Mühe und Kosten zu scheuen, wurde ein komplett möbliertes, etwas heruntergekommenes Wohnzimmer auf die Bühne gebracht. Gösser-Bierkisten symbolisieren den allgegenwärtigen Alkoholkonsum − ein wiederkehrendes Thema in Csaba Székelys Stücken. Glaubhaft stellt Schauspieler Rappert-Venez Gábor Dominiks innerliche Wandlung dar. Dazu tragen auch die Kostüme bei. So erscheint Dominik am Anfang in einem schäbigen Pullover und Jogginghose, zum Schluss steht er im Anzug und Krawatte auf der Bühne. Ein scheinbar vorbildlicher, beschützender Vater.
Nagy Csongor Zsolt in der Rolle von Alex wirkt wie ein niederträchtiger Geheimdienstmitarbeiter. Keresztes Ágnes als Liza ergänzt das Trio mit ihrer locker-unschuldigen Spielweise. Sehr passend auch die Musikarrangements: Rumänische Volkslieder und Pop-Musik der 70er Jahre schaffen eine rundum stimmige Atmosphäre. Ziel von Ich bereue nichts ist es, über die Gerechtigkeit zu reflektieren und sich mit der kommunistischen Vergangenheit des Landes auseinanderzusetzen. Lendvai Zoltáns Inszenierung schafft es, allen Ansprüchen bestens gerecht zu werden. Die Produktion in ungarischer Sprache mit rumänischen Übertiteln zieht ein größeres Publikum an.
Im Zentrum von Satu Mare liegt ein weiteres kulturelles Wahrzeichen: das im neoklassizistischen Stil erbaute Gebäude des Nordtheaters (Teatrul de Nord), in dem zwei künstlerische Abteilungen tätig sind. Feierte die rumänische Sektion 2018 das fünfzigste Jubiläum ihres Bestehens, konnte im selben Jahr die ungarische Theatergruppe „Harag György“ auf 65 Jahre seit ihrer Gründung zurückblicken.
Aufgrund der Sprache und der unmittelbaren Nähe zur ungarischen Grenze erfreut sich die Gruppe einer engen Zusammenarbeit mit im Nachbarland aktiven Künstlern. Zu den Gastregisseuren, die regelmäßig an den Produktionen des Nordtheaters mitwirken, zählt auch Lendvai Zoltán. Im März 2019 widmete er sich einem der neuesten Stücke von Csaba Székely. Der 1981 in Târgu Mureş geborene Dramatiker gilt als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Autoren Rumäniens. In seinen Texten befasst er sich mit Themen wie Nationalismus, Korruption, Alkoholismus und hohen Selbstmordraten.
Ich bereue nichts − so der Titel von Székelys 2017 verfasstem Stück, in dem er die schleppende Vergangenheitsaufarbeitung erkundet. Hauptpersonen sind zwei Männer. Dominik und Alex, ehemalige Mitarbeiter des berüchtigten Geheimdienstes Securitate, treffen sich siebzehn Jahre nach dem Sturz des Ceauşescu-Regimes wieder. Unmittelbar nach Dezember 1989 sind die beiden zwar völlig verschiedene Wege gegangen, jedoch bereut keiner von ihnen die früher angewandten Foltermethoden. Dominik, Alex' ehemaliger Vorgesetzter, zog die Pensionierung vor und den Wunsch nach Anonymität. Trotz eines hohen Rentenbetrages lebt er alleine in einer schlicht ausgestatteten Wohnung. Keiner der Nachbarn kennt seine frühere Beschäftigung. Im Gegensatz dazu arbeitet Alex nun im neuen Inlandsgeheimdienst SRI − eine Möglichkeit, durch die sich viele der einstigen Informanten nach der Wende in Rumänien unbeschadet ins neue System retten konnten.
Alex besucht seinen ehemaligen Chef, um ihn zu überzeugen, für eine neue Mission wieder aktiv zu werden. In knappen wirksamen Dialogen schickt der Autor seine Protagonisten durch die kommunistische Vergangenheit. Es ist eine humorvoll-groteske Auseinandersetzung mit der politisch-ideologischen Kontrolle der Ceauşescu-Diktatur, der beide treu ergeben waren. Verwanzen von Wohnungen und Folterung der Regimegegner standen auf der Tagesordnung. Ärzten und Frauen, die illegale Abtreibungen durchführten, drohte das Gefängnis.
Doch dann stellt sich heraus, dass eine dieser schwangeren Frauen, die von den beiden Männern wild verprügelt wurde, Dominiks Nachbarin von oben ist. Sie ist die Mutter der jungen Liza, einem Teenager, der plötzlich in das Leben des ehemaligen Securitate-Chefs eindringt. Trotz anfänglichem Widerstand schafft es das Mädchen, dem Leben des Ex-Sicherheitsdienstmitarbeiters einen neuen Sinn zu geben. Dominik beginnt Liza als sein eigenes Kind zu betrachten, umso mehr, da seine eigene Tochter aufgrund seiner grausamen Vergangenheit jede Verbindung zu ihm abgebrochen hat. Überdies erweist sich, dass Liza zum Tode verurteilt ist. Denn die Schläge, die ihre Mutter während der Schwangerschaft erhalten hat, verursachten eine Fehlbildung. Lizas einzige Rettung wäre eine Herztransplantation, die 45.000 Euro kosten würde. Diesen Betrag kann Dominik nur dann erhalten, wenn er die von Alex vorgeschlagene Mission annimmt.
Geschickt wechselt der Autor zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die im heutigen Rumänien nur leicht verändert ausfällt: Während Lizas alkoholisierter Vater seiner Tochter eine „tägliche Portion Schläge“ verpasst, bringt Alex mehrere Wanzen in Dominiks Wohnung an. Regisseur Lendvai Zoltán folgt dem Text genau und entscheidet sich für eine realistische Umsetzung. Bühnenbild (Bátonyi György) und Kostüme (Szabó Anna) sind einfallsreich großer Liebe zum Detail und daher äußerst ansehnlich gestaltet. Mit viel Aufwand, ohne Mühe und Kosten zu scheuen, wurde ein komplett möbliertes, etwas heruntergekommenes Wohnzimmer auf die Bühne gebracht. Gösser-Bierkisten symbolisieren den allgegenwärtigen Alkoholkonsum − ein wiederkehrendes Thema in Csaba Székelys Stücken. Glaubhaft stellt Schauspieler Rappert-Venez Gábor Dominiks innerliche Wandlung dar. Dazu tragen auch die Kostüme bei. So erscheint Dominik am Anfang in einem schäbigen Pullover und Jogginghose, zum Schluss steht er im Anzug und Krawatte auf der Bühne. Ein scheinbar vorbildlicher, beschützender Vater.
Nagy Csongor Zsolt in der Rolle von Alex wirkt wie ein niederträchtiger Geheimdienstmitarbeiter. Keresztes Ágnes als Liza ergänzt das Trio mit ihrer locker-unschuldigen Spielweise. Sehr passend auch die Musikarrangements: Rumänische Volkslieder und Pop-Musik der 70er Jahre schaffen eine rundum stimmige Atmosphäre. Ziel von Ich bereue nichts ist es, über die Gerechtigkeit zu reflektieren und sich mit der kommunistischen Vergangenheit des Landes auseinanderzusetzen. Lendvai Zoltáns Inszenierung schafft es, allen Ansprüchen bestens gerecht zu werden. Die Produktion in ungarischer Sprache mit rumänischen Übertiteln zieht ein größeres Publikum an.